Wie intelligent ist die Strategie für Künstliche Intelligenz der deutschen Bundesregierung?

 

Am 18. Juli wurden die „Eckpunkte der Strategie Künstliche Intelligenz“ vorgestellt. Seither sind diese auf der Seite des BMWI für jedermann und jedefrau abrufbar. Dem 12 Seiten starken Eckpunktepapier merkt man schon auf den ersten Seiten an, dass es sich die Bundesregierung nicht leicht gemacht hat: Alleine die Tatsache, dass nun drei Ministerien daran beteiligt sind – neben dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und dem Bundesforschungsministerium (BMBF) ist nun auch das Bundesarbeitsministerium (BMAS) federführend mit dabei – zeigt, dass die Bundesregierung mehr will, als ein reines Wirtschaftsförderungsprogramm vorzulegen.  Zwar soll „AI made in Germany“ , wie auch nicht anders zu erwarten, explizit gefördert und international etabliert werden, ganz klassisch in der Tradition deutscher Wirtschaftspolitik,  doch soll es als eine Art Gütesiegel verstanden werden, das mehr verspricht als die erwartete Qualität der Produkte, nämlich eine gemeinwohlorientierte „KI Made in Germany”, die die BürgerInnen und besonders
Erwerbstätige unterstützen soll.  Die Mitarbeit des BMAS unterstreicht die Bedeutung, die den Auswirkungen von AI auf den Arbeitsmarkt und die Beschäftigten zugemessen wird deutlich.

Mit der Aufnahme des Gemeinwohles und der Versicherung der Verankerung von ethischen Grundsätzen wird ein bewusster Kontrapunkt zu den Strategien anderer Nationen gesetzt. AI made in Germany soll sich also von KI aus den USA oder China deutlich differenzieren.

Die Bundesregierung hat sich einen straffen Zeitplan gegeben, um nicht den Eindruck zu erwecken im internationalen Vergleich zu den Nachzüglern zu gehören. Und tatsächlich ist Deutschland in puncto KI-Strategie nicht unter den Vorreitern. Deutschlands Mühe mit der Digitalisierung wird einige Male im Papier erwähnt und findet sich auch immer wieder in einzelnen Textpassagen zwischen den Zeilen. Wenn etwa als Ziel das Finden „einer europäischen Antwort auf datenbasierte Geschäftsmodelle und neue Wege der datenbasierten Wertschöpfung, die unserer Wirtschafts-, Werte und Sozialsstruktur entspricht“ formuliert wird, im ganzen Papier aber keine Beispiele dafür zu finden sind, dann zeigt sich klar, wie stark Anspruch und Wirklichkeit hier auseinanderklaffen.

Im Hinblick auf Gemeinwohl und Teilhabe „sieht sich die Bundesregierung in der Pflicht,  verantwortungsvolle und gemeinwohlorientierte Nutzung von KI in Zusammenarbeit mit Wissenschaft, Wirtschaft, Staat und der Zivilgesellschaft voranzubringen“. In den Zielen findet sich erfreulicherweise auch, die Systeme überprüfbar zu machen, Diskriminierung zu vermeiden, eine Entwicklung und Einsatz von KI nur auf Basis europäischer Werte und die Hoffnung, dass KI „soziale Teilhabe, Handlungsfreiheit und Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger fördern“ kann.

Richtigerweise verfolgt das Papier einen Ansatz, der stark in „Ökosystemen“ denkt und daher der digitalen Realität näher ist als klassische, sektorielle Herangehensweisen.

In den umfassenden und auf Basis der im Papier gegebenen Analyse der Ausgangssituation logisch gereihten Handlungsfeldern findet viel Platz:

Von der Forschungsförderung für KI über den Transfer in die Wirtschaft bis zur nationalen und internationalen Vernetzung wird sehr Konkretes mit formelhaften Visionen gemischt. Selbst auf das Thema Breitbandausbau als wichtige Infrastrukturbasis wurde nicht vergessen.

Vieles ist noch auf der Ebene eines Visionspapieres, das ist in diesem Stadium aber durchaus akzeptabel, schließlich handelt es sich um einen Zwischenstand.

Allerdings wird man den Eindruck nicht los, dass die Substanz von Seite zu Seite dünner wird. Sind die Handlungsfelder Forschung und Innovation noch sehr detailliert beschrieben mit durchaus greifbaren Ansätzen, so besteht der klassische deutsche Zugang zur Technologiezähmung über Normung nur mehr aus zwei Sätzen.

Insbesondere im Bereich der Teilhabe und des Gemeinwohls fehlen konkrete Ansätze in den identifizierten Handlungsfeldern weitgehend. Was auf einer Zielebene noch relativ prominenten Platz findet, ist in den Umsetzungsvorschlägen (noch?) nicht gelandet. Aber noch sind die Konsultationen ja im Gange.

Positiv überrascht das Kapitel Arbeitsmarkt und Ausbildung: Eine „Prüfung und ggf. Weiterentwicklung der betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten bei Einführung von KI-Anwendungen“ und eine „Stärkung der Sozialpartnerschaft bei der Einführung von KI“ sind klare Bekenntnisse. Das Papier greift auch einen  Vorschlag der Stiftung SNV auf, nämlich den Fokus auf Ausbildung von KI-Kräften auf allen Ebenen zu setzen und die Bedingungen für Wissenschaftler auf diesem Feld aus dem In- Und Ausland zu verbessern.

Beim Lesen stellen sich allgemein viele Fragen ob der Umsetzbarkeit, etwa bei einer „Agentur für Sprunginnovationen“, die Bereiche identifizieren soll, “in denen […]
Sprunginnovationen notwendig sind und diese Probleme dann ausschreiben soll“.
Wer öffentlichen Ausschreibungen in Deutschland und das Vergabegesetz kennt, weiß dass beide alles andere als innovationsfördernd sind , auch die mehrfach erwähnten PPPs als Mittel zum Transfer machen auf dem Papier eine bessere Figur als die Performance und Erfahrung der deutschen Behörden damit das ansonsten vermuten lassen.

Leider ist der Text auch durchsetzt von Forderungen wie einem “kontinuierlichen Technologiemonitoring”, das Transparenz bringen soll. In dieser Version des Papieres bleibt diese Formulierung ein Papiermonster. Was darunter vorstellbar ist und auch wer so eine Aufgabe übernehmen könnte, bleibt unerwähnt.

Immer wieder schlägt auch ein Jargon durch, der durchblicken lässt, dass die Digitalisierung und ihre neu strukturierte Ökonomie noch nicht in den Köpfen angekommen ist – wenn gefordert wird, dass KI zu einem “Exportschlager” werden soll etwa. Und wenn von einem „Heben des Datenschatzes“ gesprochen wird, so klingt das wie ein Schlagwort auf der Präsentationsfolie eines der einflussreichen Wirtschaftsverbände. Dass diese bei allen Bemühungen um gesellschaftliche Breite einen überbordenden Einfluss auf das Papier genommen haben zeigt eine einfache Übung: Gezählte 33 Mal steht die „Wirtschaft“ im Text, nur je zweimal „Gemeinwohl“ und „Teilhabe“.

Auch ob die Beispiele für das Potential für KI glücklich gewählt sind, bleibt dahingestellt: die Erkennung von neuen Krankheiten als Paradebeispiel für den Einsatz von KI in Deutschland anzuführen, klingt bemüht und reitet ein Pferd, das zu oft vorgeführt wird: Fortschritte im Gesundheitswesen müssen für beinahe jede neue Technologie herhalten. Da verwundert die verschämte Verbrämung des militärischen Einsatzes unter dem Thema äußere Sicherheit schon gar nicht mehr, eher die Tatsache, dass dieser Aspekt es überhaupt in das Papier geschafft hat.

Sich im klassischen textkritischen Sinne zu fragen, wer spricht, was gesagt wird und vor allem, was unerwähnt bleibt, ist natürlich auch für dieses Eckpunktepapier angebracht:

So wird zum Beispiel die neu eingesetzte Enquete-Kommission
“Künstliche Intelligenz” des Bundestages im Papier nicht einmal angeführt.

Gänzlich fehlen Ideen und Hinweise zur Finanzierung, nichts deutet darauf hin, dass im Haushalt auch die Mittel für die vielen Ideen zur Verfügung gestellt werden. Nicht einmal das Kapitel „Sofortmaßnahmen“ enthält einen Hinweis darauf, wie zum Beispiel der Aufbau des Kompetenzzentrums mit Frankreich finanziert werden soll.

Unentschieden, vage, floskelhaft, zusammengewürfelt und ohne klaren Fokus – so könnte man dieses Papier charakterisieren.

Man sieht dem Text die vielen Autoren und das zähe Ringen vieler Einflussgruppen, ihre Formulierungen unterzubringen, sofort an. In beinahe jedem Absatz zeigen sich die Handschriften vieler Autoren. Der sehr unterschiedliche Reifegrad der Überlegungen wird immer wieder deutlich. Während die Maßnahmen für Förderung des Standortes sehr konkret und klar formuliert sind, ist das Gemeinwohl auf Formelhaftes beschränkt – so als wäre es im nachhinein zur Entschärfung und Beruhigung hinzuformuliert worden.

Wasch mich, aber mir den Pelz nicht nass, so oder ähnlich könnte die Überschrift über das Eckpunktepapier lauten.

All das  – und noch viel mehr – lässt sich über dieses Eckpunktepapier sagen  – und das ist das Gute daran!

Denn es handelt sich eben NICHT um die fertige Strategie und schon gar nicht um einen wahlkampftauglichen Forderungskatalog.

Das Papier ist das Ergebnis eines aufwändigen Prozesses und der Versuch, möglichst viele Standpunkte und Interessen zu berücksichtigen. Damit spiegelt es die beste Tradition einer deliberativen Demokratie, die Deutschland so gerne sein möchte (und in vielen Ansätzen auch ist). Es ist eine Bestandsaufnahme einer gesellschaftlichen Abwägung  – wie der Name es verrät, steckt es die Eckpunkte eines Feldes ab, versucht die Leitlinien zu ziehen.

In diesem Sinne hat es internationalen Vorzeigecharakter. Mögen die Strategien anderer Länder griffiger sein – an die gesellschaftliche Breite dieses Eckpunktepapieres reichen wenige heran.

Natürlich kann genau das auch zum Scheitern führen, und genau dieser Pessimismus wird bereits von einzelnen Akteuren als Argument missbraucht, die anklingen lassen, dass das Papier den Fokus auf die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit vor allem anderen legen sollte und nicht mit Anklängen von Regulierung und ethischen Hindernissen die Investitionen bremsen

Tatsächlich sind die Aussagen zu Regulierung oder sogar einem Gütekriterienkatalog, wie er unter anderem von der Bertelsmannstiftung gemeinsam mit dem iRights.Lab vorgeschlagen wurden sehr vage. Das Papier schlägt nur die Prüfung des rechtlichen Rahmens vor, verweist aber im Großen und Ganzen auf die DSGVO. Wie genau die Sicherstellung der Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der KISysteme gewährleistet werden soll, wird nicht ausgeführt.

Alleine die Tatsache, dass diese Aspekte Eingang gefunden haben, hat schon Proteste von Wirtschaftsvertretern hervorgerufen.

Dass kein Unternehmen investieren würde, wenn es zu einer Offenlegung – zumindest vor einer Regulierungsbehörde – gezwungen würde, war eines der ersten Argumente von Wirtschaftsverbänden. Das scheint mir stark überzogen, sind doch einige Branchen – man denke nur an Pharma und chemische Industrie –  Beispiele dafür, dass Regulierung, Innovation und hohe Renditen durchaus möglich sind. Niemand käme in Deutschland ernsthaft auf die Idee, Medikamente oder Pflanzenschutzmittel ohne umfangreiche Tests und Zulassungen in Umlauf bringen zu lassen. Hier wird sogar mit dem gegenteiligen Argument – der Sicherheit durch Zulassungen und hohe regulatorische Hürden – geworben, eben weil hier die deutsche Industrie einen sehr hohen Marktanteil hat.

Regulierung und völlige Transparenz müssen vielleicht auch nicht in allen Einsatzbereichen von KI sein. Unkritische Einsatzszenarien sind durchaus vorstellbar und können dazu dienen, Neues auszuprobieren.

Regeln sind – und damit ordnungsethische Ansätze – bezeichnend für entwickelte Industriestaaten. Arbeits-, Sozial und Konsumentenschutzgesetze, technische Normen, etc. bilden den notwendigen Rahmen für Gemeinwohl und auch Marktwirtschaft. Ein Markt ist immer gekennzeichnet von Regeln, Sicherheit und durchsetzbaren Rechten und nicht von völliger Selbstregulation.

In diesem Sinne müssen auch Regeln für die Entwicklung, den Transfer und den Einsatz von KI her. Eine Selbstverpflichtung wird nicht funktionieren – sie kann nur dort – und auch nur begrenzt – wirksam sein, wo soziale Normen stärker sind als wirtschaftlicher Erfolg. (Die BertelsmannStiftung hat dazu vor kurzem eine Studie veröffentlicht). Ethik und Ökonomie müssen gemeinsam betrachtet werden, ganz im Sinne Karl Homans.

Erfolgreiche KI Länder haben meist auch potente Heimmärkte. Hier liegt wahrscheinlich Deutschlands derzeit größtes Hemmnis. Zwar steigt der Einsatz von KI in der Industrieautomation rasant an, im Dienstleistungssektor, in klassischen Office-Bereichen und auch in der Freizeit aber liegt die Nutzung von KI hinter anderen Ländern. Das hat mehrere Gründe, unter anderem einen nachwievor stark fragmentierten europäischen Markt für digitale Dienstleistungen. Dazu hat der große Billiglohnsektor (vielleicht) zu geringer Arbeitslosigkeit und erhöhter Wettbewerbsfähigkeit geführt, er bremst aber auch die Investitionen in KI und Digitalisierung, insbesondere im Heimmarkt. Das größte Hindernis auf Deutschlands steinigem Weg in die Digitalisierung ist aber die tiefe Verunsicherung der Deutschen gegenüber allem Digitalen und Virtuellen. Überall dort, so scheint es, wo es nichts mehr zu „begreifen“ gibt, herrscht Angst und Ablehnung. Ein wichtiger Indikator für den Grad der Digitalisierung einer Gesellschaft etwa ist der Bargeldgebrauch – und hier ist Deutschland Spitzenreiter.

Solange sich das nicht ändert, wird die Diskussion um eine Ethik der KI auch weiterhin zumindest zum Teil unter einem Aspekt der Ablehnung und der Angst geführt werden.

So wichtig eine Rahmenordnung für KI auch ist, sie soll nicht dazu dienen, die Potentiale von KI zu mehr Gemeinwohl und Teilhabe zu verhindern.

Daher muss es ein wichtiger Teil der KI-Strategie sein, KI zu entmystifizieren um Akzeptanz für eine rationale Diskussion zu schaffen.

Blogparade Ethik der Algorithmen

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